Rita Schwarzelühr-Sutter – Newsletter 14/2020

In dieser Woche hat der Bundestag den Haushaltsentwurf 2021 beraten. Finanzminister Olaf Scholz will das Land mit einer Investitionsoffensive fit für die Zukunft machen.

Den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie setzt die Regierung eine Investitionsoffensive entgegen. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sind 55 Milliarden für Investitionen vorgesehen – deutlich mehr als vor der Krise. „Wir nehmen sehr viel Geld in die Hand, um die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie mit aller Kraft abzumildern“, sagt Dennis Rohde, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Der Entwurf trage eine klar erkennbare soziale Handschrift, mit einem Staat als starken Partner in dieser schwierigen Zeit. Ziel sei es am Ende einen Haushalt zu formen, der „massiv in die Zukunft und den sozialen Zusammenhalt unseres Landes investiert, damit wir stärker aus der Krise kommen, als wir reingegangen sind“, so Rohde.

Dafür will der Bund 96,2 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen für das kommende Jahr. Aufgrund des Einbruchs des Wirtschaftswachstums infolge der Pandemie hat der Staat massive Steuermindereinnahmen zu verkraften (in 2021: 42,2 Milliarden Euro, von 2021 bis 2024: 127,7 Milliarden Euro). Für 2020 wird die Schuldenquote in Deutschland auf rund 75 Prozent ansteigen. Damit liegt das Land zwar über den europäischen Fiskalregeln von 60 Prozent Neuverschuldung, schneidet im Vergleich zu anderen Ländern aber immer noch deutlich besser ab.

Nicht zuletzt die verantwortungsvolle, sparsame Finanzpolitik der letzten Jahre hat Deutschland eine starke und konsequente Antwort auf den wirtschaftlichen Einbruch ermöglicht. „Die Haushaltspolitik der vergangenen Jahre ist Grundstein dafür, dass wir heute und morgen weiter aus dem Vollen schöpfen können“, sagt Dennis Rohde.

Für das Jahr 2021 wie bereits 2020 sieht die Bundesregierung eine Ausnahme von der Schuldenregel im Grundgesetz vor. Wenn sich die Wirtschaft so erhole wie derzeit prognostiziert sei es realistisch, dass die Schuldenbremse ab 2022 wieder eingehalten werden könne, so Rohde.

Die Regierung will 2021 rund 55 Milliarden Euro investieren, insgesamt sieht sie im Zeitraum 2020 bis 2024 Investitionen in Höhe von 270,5 Milliarden Euro vor. Gerade in Zeiten der Krise zeigt sich das Gebot eines starken Sozialstaats, der diese abfedert, etwa durch die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus oder den verlängerten erleichterten Zugang zur Kurzarbeit bis Ende 2021. „Was uns jetzt durch die Krise führt, ist die Wirtschaftskraft dieses Landes“, sagte Olaf Scholz im Bundestag bei der Vorstellung seines Haushalts, aber „auch ein tragfähiges Gemeinwesen und ein guter Sozialstaat, der in der Lage ist, in einer solchen Situation Kraft zu verleihen und die Bürgerinnen und Bürger zu beschützen“.

Mit den Investitionen soll aber auch Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit von morgen gesichert werden, mit Investitionen in Schiene, Straße und Wasserstraße, in Zukunftsbereiche wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie und Wasserstoffstrategie, der Gestaltung der Digitalisierung, und auch den Kampf gegen den Klimawandel, also ganz im Interesse zukünftiger Generationen.

Die Investitionsausgaben von heute seien die Steuereinnahmen von morgen, so Olaf Scholz. „Wir stärken die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und stützen so die Konjunktur und damit Beschäftigung“.

In welche Bereiche fließen die Zukunftsinvestitionen, wie wird der Sozialstaat gestärkt, und warum können wir uns das alles leisten?

Wie hoch ist die Investitionsoffensive?

Den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie setzt die Regierung eine Investitionsoffensive entgegen. Sie will 2021 rund 55 Milliarden Euro investieren – deutlich mehr als vor der Krise. Insgesamt sieht der Regierungsentwurf im Zeitraum 2020 bis 2024 Investitionen in Höhe von 270,5 Milliarden Euro vor.  Die Investitionsausgaben seien von heute seien die Steuereinnahmen von morgen, argumentiert das Finanzministerium. „Wir stärken die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und stützen so die Konjunktur und damit Beschäftigung“, so Olaf Scholz. „Zum anderen sichern wir Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit von morgen und machen unser Land fit für die anstehenden Herausforderungen, insbesondere die Gestaltung der Digitalisierung und den Kampf gegen den Klimawandel“. Dies sei ganz im Interesse zukünftiger Generationen.

Wie hoch verschuldet sich der deutsche Staat genau?

Für 2020 wird die Schuldenquote in Deutschland auf rund 75 Prozent ansteigen. Damit liegt das Land zwar über den europäischen Fiskalregeln von 60 Prozent Neuverschuldung, schneidet im Vergleich zu anderen Ländern aber immer noch deutlich besser ab.

Die Bundesregierung plant für 2021 rund 47 Milliarden Euro sowie für 2021 bis 2024 rund 91 Milliarden Euro an Mehrausgaben. Gleichzeitig sind gegenüber der bisherigen Finanzplanung aufgrund des Einbruchs des Wirtschaftswachstums aufgrund der Pandemie massive Steuermindereinnahmen zu verkraften (in 2021: 42,2 Milliarden Euro, von 2021 bis 2024: 127,7 Milliarden Euro). Der Bund plant deshalb zur Finanzierung seiner Mindereinnahmen und Mehrausgaben für das kommende Jahr rund 96,2 Milliarden Euro an neuen Krediten aufzunehmen.

Ist diese hohe Verschuldung verfassungsgemäß?

Es ist möglich, von der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse unter bestimmten Bedingungen abzuweichen. Aufgrund der historischen Herausforderungen durch die Pandemie empfiehlt die Bundesregierung, für das Jahr 2021 wie bereits 2020 eine Ausnahme von der Schuldenregel vorzusehen. Denn das Ausmaß der Krise erfüllt aus Sicht der Bundesregierung auch 2021 die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne von Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes. Sie schlägt die Rückführung der die zulässige Kreditobergrenze überschreitenden Verschuldung im Zeitraum von 2026 bis 2042 vor. In den kommenden Jahren soll die Neuverschuldung weiter deutlich zurückgefahren werden, bis sie im Jahr 2024 nur noch 5,2 Milliarden Euro betragen soll. Wenn sich die Wirtschaft so erhole wie derzeit prognostiziert sei es realistisch, dass die Schuldenbremse ab 2022 wieder eingehalten werden könne, sagt Haushaltsexperte Dennis Rohde.

Können wir uns diese hohen Ausgaben leisten?

Die Haushaltslage ist dem Finanzministerium zufolge trotz der historischen Herausforderung durch die Pandemie zu bewältigen. Nicht zuletzt die verantwortungsvolle, sparsame Finanzpolitik der letzten Jahre habe Deutschland eine starke und konsequente Antwort auf den wirtschaftlichen Einbruch ermöglicht. Zum Vergleich: In Folge der internationalen Finanzkrise 2008/2009 haben die gesamtstaatlichen Schulden ihren bisherigen Höchstwert von 82,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht – diese Schuldenquote ist bis Ende 2019 auf unter 60 Prozent reduziert worden, den europäischen Referenzwert. „Die Haushaltspolitik der vergangenen Jahre ist Grundstein dafür, dass wir heute und morgen weiter aus dem Vollen schöpfen können“, sagt Dennis Rohde.

Auch international stehe das Land mit seiner kraftvollen fiskalischen Reaktion gut da, berichtet das Finanzministerium. Deutschland habe gleichzeitig die niedrigste Schuldenquote der G7-Staaten. „Wir haben die öffentlichen Finanzen im Griff. Wir ergreifen die notwendigen Maßnahmen mit Augenmaß und großer haushalterischer Verantwortung. Und stellen gleichzeitig die Weichen, um unser Land, unsere Wirtschaft und die Beschäftigten gut für die Zukunft zu wappnen“, schreiben die Experten aus dem Bundesfinanzministerium.

In welchen Bereichen wird wieviel investiert?

Um das Land  für die Zukunft zu rüsten, werden Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie mit jeweils zwei Milliarden Euro gefördert, für den Krankenhaus-Zukunftsfonds sind drei Milliarden Euro vorgesehen. Im Bereich der digitalen Infrastruktur ist es wichtig, die Kommunikationstechnologie am Puls der Zeit zu halten. Der Bund wird in den Jahren 2021 bis 2024 mindestens zwei Milliarden Euro in den Roll-Up von 5G, perspektivisch 6G, investieren.

Auch der Bereich Verkehr soll in den kommenden Jahren umgebaut werden, er ist der größte Investitionsblock im Haushalt 2021: Ganze 18,6 Milliarden Euro werden in die Schiene, Straße, Wasserstraße fließen. Der Fokus wird dabei auf die klimafreundliche Schiene gerichtet. Dabei soll nicht nur mit dem Schnellläuferprogramm „Digitale Schiene“ die Digitalisierung der Stellwerke beschleunigt, sondern auch der Mobilfunk-Ausbau entlang der Schiene mit einem höheren Etat vorangetrieben werden.

In der Wirtschafts- und Energiepolitik sollen auch in Zukunft Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander vereint werden. Bis 2024 werden 1,5 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und der Zulieferindustrie sowie für innovative Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Wissenschaft und Wirtschaft sollen bei ihrer Gemeinschaftsaufgabe unterstützt werden, die notwendigen Transformationsprozesse anzukurbeln und Arbeitsplätze zu erhalten.

Die Wasserstoffstrategie stellt die Weichen für den Aufbau einer ökonomisch erfolgreichen und nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft, die beispielsweise für eine nachhaltige Stahl- und Chemieproduktion entscheidend sein wird. In den Jahren 2021 bis 2024 wird unsere Strategie mit 6,8 Milliarden Euro umgesetzt.

Gerade in Zeiten der Krise zeigt sich das Gebot eines starken Sozialstaats. Den Zugang zum Kurzarbeitergeld deutlich zu erleichtern, war goldrichtig. Denn so konnten Millionen von Arbeitsplätzen gerettet werden. Damit die Bundesagentur für Arbeit (BA) auch künftig handlungsfähig bleibt, muss sie schuldenfrei in das Jahr 2022 starten können. Der Bund wird deswegen der BA das gewährte Darlehen am Jahresende 2021 erlassen bzw. unterjährige Liquiditätshilfen in einen Zuschuss umwandeln, sofern die BA nicht über genug eigene finanzielle Ressourcen verfügt.

Für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land ist bezahlbarer Wohnraum die Voraussetzung. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die Länder bis 2024 mit jährlich einer Milliarde Euro beim Sozialen Wohnungsbau. Außerdem sind im kommenden Jahr knapp 900 Millionen Euro für das Baukindergeld vorgesehen, mit dem der erstmalige Erwerb von Wohneigentum für Familien mit Kindern gefördert wird. Bis ins Jahr 2024 wachsen die Mittel auf jährlich 970 Millionen Euro an.

Und auch an anderer Stelle werden Familien und Alleinerziehende unterstützt. Neben dem Kinderbonus und der Erhöhung des Zuschlags für Alleinerziehende wird auch eine erstklassige Kinderbetreuung gefördert: Für das Programm Ganztagsschule und Ganztagsbetreuung sind in den Einzelplänen des Bundesfamilien- sowie des Bundesbildungsministerium im Jahr 2021 erneut jeweils 500 Millionen Euro Zuführung in ein noch zu errichtendes Sondervermögen veranschlagt. Weitere 500 Millionen Euro sind für das Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau vorgesehen.

Gerade in Zeiten der Krise müssen die Kommunen handlungsfähig bleiben – trotz ihrer massiven Gewerbesteuerausfälle in diesem Jahr, die Bund und Länder 2020 ausgleichen. Zusätzlich wird sich der Bund dauerhaft in stärkerem Maße an den Kosten der Unterkunft (KdU) für Arbeitssuchende beteiligen. Die entsprechenden Ausgaben für den Bund werden im Jahr 2021 insgesamt 34,4 Milliarden Euro betragen und bis 2024 auf jährlich 36,1 Milliarden Euro anwachsen.

Für die innere Sicherheit steigen die Mittel gegenüber dem bisherigen Finanzplan erneut an: auf rund 6,9 Milliarden Euro im Jahr 2021. Wesentlich für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land sind Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Sie aktiv zu fördern muss uns etwas wert sein. Die Mittel hierfür wollen wir deshalb mit 151 Millionen Euro mehr als verdoppeln.

Mit dem europäischen Wiederaufbaupaket ist es gelungen, eine neue Phase der Solidarität in Europa einzuläuten. In den kommenden Jahren erhält der Bund aus der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität Einnahmen in Höhe von knapp 23 Milliarden Euro. Mit dem Ziel eines ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Aufschwungs will die Regierung diese Mittel für Reformen und öffentliche Investitionen verwenden. Der Koalitionsausschuss hat sich darauf verständigt, die Mittel für die digitale und klimafreundliche Transformation der Wirtschaft im Rahmen des Konjunktur- und Zukunftspakets zu nutzen. In den kommenden Wochen wird die Bundesregierung hierzu einen nationalen Aufbauplan erarbeiten.

Und auch jenseits der europäischen Grenzen übernimmt Deutschland Verantwortung: Mit zusätzlichen Mitteln von insgesamt rund 3,85 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe werden die Ausgaben im Jahr 2021 gegenüber der bisherigen Finanzplanung deutlich erhöht. Damit steigt der Beitrag aus dem Bundeshaushalt an den direkten deutschen Aufwendungen für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit ein weiteres Mal an.

Der Verteidigungshaushalt wird gegenüber der bisherigen Finanzplanung um 1,6 Milliarden Euro aufgestockt und verstetigt. Hinzu kommen im Jahr 2021 insgesamt 1,2 Milliarden Euro der insgesamt mit dem Konjunkturprogramm vorgesehenen 3,7 Milliarden Euro für konjunkturstützende Maßnahmen.

In einer zweistündigen Debatte würdigte der Bundestag die Erfolgsgeschichte der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Politische Priorität der SPD-Abgeordneten ist, die bleibenden Unterschiede bei Löhnen, Renten und beruflichen Chancen zu verringern.

„Nur miteinander werden wir die Zukunft gewinnen“ – so lautet eine der zentralen Lehren, die Vizekanzler Olaf Scholz zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit zieht. Es gehe darum, dass man wisse, dass man Veränderungen nicht mit sich allein ausmachen müsse, sondern dass „diese uns gemeinsam berühren“, mit Blick auf die großen Umbrüche, die die Ostdeutschen nach der Wende erfahren mussten, sagte Scholz bei der Debatte im Bundestag zu dem Thema.

Ostdeutschland habe einen „riesigen ökonomischen Strukturwandel“ erlebt, und die Bürgerinnen und Bürger hätten ihre Zuversicht dennoch nicht in Frage gestellt. Diese Erfahrung des Strukturwandels müssten die Deutschen insgesamt als gemeinsame Erfahrung in Erinnerung behalten. Deutschland habe auch aufgrund des technologischen Wandels noch viele Strukturbrüche vor sich, die alle gemeinsam bewältigen müssten.

Die deutsche Einheit sei eine Erfolgsgeschichte. Wenn jemand nach Deutschland reise, werde er zwischen Osten und Westen keinen Unterschied feststellen. „Wir sind ein Land, das ist geglückt“, sagte Scholz.

Auch wirtschaftlich sei die Einheit ein Erfolg, dennoch gebe es noch Dinge zu tun, bei Unterschieden bei den Löhnen und Gehältern, den beruflichen Perspektiven, oder auch der Rente. Es sei ein großer Fortschritt, dass es nun die Grundrente gebe. Der Vizekanzler und würdigte auch den Mut der Ostdeutschen. Die Einheit sei „von unten gekommen, sie ist vom Volk erkämpft worden». Das sei außergewöhnlich. «Es ist ein demokratischer Akt in Deutschland, einer der seltenen in unserer Geschichte.»

Aus der Wiedervereinigung erwachse auch eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik für die Europäische Union, sagte Scholz. Die anderen europäischen Länder hätten die Einheit akzeptiert, weil sie gewusst hätten, dass Deutschland ein verlässlicher Partner war.

Nun, mit dem bevorstehenden Brexit, stehe Deutschland als bevölkerungsreichstes Land mit einer enormen Wirtschaftskraft in der Verantwortung, dazu beizutragen, dass die Union in Europa gelinge.

Auch die SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe aus Leipzig findet, Deutschland könne auf „30 Jahre Erfolgsgeschichte blicken“. „Diese historische Aufgabe haben wir megagut gemeistert, trotzdem bleibt noch etwas zu tun, um die innere Einheit herzustellen“, sagt Kolbe. „Viele Ostdeutsche haben sich in ihrer Verletztheit eingerichtet, viele Westdeutsche in der Gleichgültigkeit. Lasst uns mehr erzählen und mehr zuhören“, wünscht sich Kolbe. „Die Leute wollen in Ost und West, dass ihre Leistungen anerkannt werden. Politisch kann ich das als Sozialdemokratin auf den Wert der Arbeit vor und nach der Wiedervereinigung zuspitzen“, sagte die Politikerin. Die Löhne im Osten seien noch viel zu niedrig im Vergleich zum Westen. Die Grundrente und der Mindestlohn, die zwei größten sozialpolitischen Projekte der vergangenen Legislaturen, würden dabei helfen, ostdeutsche Biografien besser zu wertschätzen und Unterschiede zu verringern. Doch die SPD-Fraktion bleibe da nicht stehen, sie wolle 12 Euro Mindestlohn und mehr Tarifverträge im Osten.

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, selber an der Grenze groß geworden, betont, dass der Mauerfall auch im Westen sehr viel Freude ausgelöst habe. „Das ist nicht nur ein Schatz für die Menschen in Ostdeutschland“, sagt Roth. Es müsse nun in mehr gesellschaftlichen Bereichen gelingen, auch ostdeutsche Biografien hervorzuheben.  In der Einheit müsse es nicht Einfalt, sondern Vielfalt und Weltoffenheit geben. „Dann würde es uns auch besser gelingen, in einem geeinten Deutschland für ein geeintes Europa einzutreten“, so Roth.

Der Abgeordnete Eberhard Brecht, der 1990 Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR für die SPD war, wies in seiner Rede auf die Gefahr des Rechtsextremismus hin: „Wo ist der Stolz des Herbstes 1989 geblieben?“ fragte er. Die Wertschätzung der demokratischen Strukturen scheine in Ostdeutschland zu erodieren. Das äußere sich in einer verklärenden DDR-Nostalgie, mitunter auch in Form einer rechtsradikalen Protestkultur. Brecht appelliert: „Wir müssen denjenigen energisch entgegentreten, die unsere demokratische Revolution von 1989 heute in eine nationalistische Erhebung umzudeuten versuchen“.

Die Union blockiert beim Lieferkettengesetz, doch die SPD-Fraktion kämpft weiter: Globale Konzerne sollen dafür haften, wenn ihre Zulieferer die Menschenrechte nicht achten.    

Als Frank Schwabe, Sprecher für Menschenrechte der SPD-Fraktion, jüngst nach Bangladesch reiste, erlebte er Bedrückendes: Er wurde Zeuge von Kinderarbeit. Bei einer Stadtführung durch Dakar war er in eine Fabrikruine geführt worden. In der heruntergekommenen Halle hausten mehrere 12-bis 13-jährige Kinder neben den Nähmaschinen, die sie den ganzen Tag bedienen mussten. Es war dunkel, heiß und feucht. „Die Kinder schnüffelten alle Klebstoff“, erzählt der SPD-Abgeordnete, der sich schon lange gegen ausbeuterische Kinderarbeit einsetzt.

Schwabe ist überzeugt davon, dass auch Unternehmen, die global produzieren, die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass die Menschenrechte entlang ihrer gesamten Produktions- und Lieferkette gewahrt werden, und kämpft deshalb für ein Lieferkettengesetz. Ein solches Gesetz soll in Deutschland ansässige, international produzierende Unternehmen in die Pflicht nehmen, dass die Menschenrechte auch in den Unternehmen gewahrt werden, die im Ausland entweder direkt für sie produzieren oder ihnen Rohstoffe zuliefern. Das würde auch helfen, die Kinderarbeit einzudämmen, die sich gerade jetzt infolge der Corona-Pandemie und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise wieder auszuweiten droht.

„Unternehmen tragen eine große gesellschaftliche Verantwortung, um ausbeuterische Kinderarbeit nachhaltig zu bekämpfen“, schreibt das UN-Kinderhilfswerk Unicef. 152 Millionen Mädchen und Jungen – fast jedes zehnte Kind – sind nach aktueller Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)  Kinderarbeiter – das heißt, sie müssen unter Bedingungen arbeiten, die sie ihrer elementaren Rechte und Chancen berauben. Fast die Hälfte der Kinderarbeiter – 73 Millionen – leidet unter Arbeitsbedingungen, die gefährlich oder ausbeuterisch sind – zum Beispiel in Goldminen in Burkina Faso, als Textilarbeiter in Bangladesch, auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste oder auf Farmen in Lateinamerika. Laut Unicef können Unternehmen eine zentrale Rolle dabei spielen, unter anderem Kinderrechte zu schützen und zu fördern, indem sie dafür sorgen, dass in der gesamten globalen Lieferkette keine Kinderarbeit vorkommt.

Die SPD-Fraktion im Bundestag hat dafür gesorgt, dass eine nationale gesetzliche Regelung zu den Sorgfaltspflichten deutscher Unternehmen entlang ihrer globalen Lieferketten im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Doch nun, auf den letzten Metern, blockiert die Union. Nicht akzeptabel, findet die SPD-Fraktion: „Natürlich müssen global tätige Unternehmen ihren Teil beitragen, dass Menschenrechte geachtet werden. Dass keine Kinderarbeit etwa und moderne Formen von Sklaverei in ihren Produkten stecken. Diese Verantwortung müssen sie wahrnehmen“.

SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hatten bereits Eckpunkte zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Denen zufolge sollen in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten dazu verpflichtet werden, sicherzustellen, dass die Menschenrechte bei all ihren Aktivitäten gewahrt sind. Das würde zum Beispiel für einen Schokoladehersteller bedeuten, dass dies auch auf den Kakaoplantagen der Fall ist. Dort darf keine Kinderarbeit stattfinden, es müssen Arbeitsschutzregelungen eingehalten werden und Arbeiter müssen sich gewerkschaftlich organisieren dürfen. Vernachlässigen die Unternehmen diese Sorgfaltspflicht, müssten sie dafür haften. So haben Betroffene die Möglichkeit, ein Unternehmen bei Verstößen zur Rechenschaft zu ziehen.

In der Bevölkerung genießen diese Pläne großen Rückhalt: So befürworten nach einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Infratest dimap drei von vier Befragten ein Gesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette verpflichtet. Selbst unter den Anhängern der Union spricht sich eine ebenso große Mehrheit für das Gesetz aus.

Doch Teile der Union blockieren trotzdem. Strittig sind vor allem zwei Punkte: Die Unternehmensgröße, ab der das Gesetz gelten soll, und die Haftungsfrage – in der Union gibt es große Vorbehalte gegenüber einer zivilrechtlichen Haftung für die Unternehmen.

Die SPD-Fraktion hält dagegen: „Die Blockadehaltung der Union muss ein Ende haben. Ein Lieferkettengesetz ohne Haftungsregelung entfaltet ebenso wenig eine gewünschte Wirkung wie die Beschränkung auf Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, erklären die Abgeordneten.

Auch Arbeitsminister Hubertus Heil will weiter für ein Gesetz kämpfen, das wirksam ist: „Wir wollen kein Alibi-Gesetz beschließen. Wir haben die Wahl zwischen Tiger und Bettvorleger“. Schließlich gehe es um nicht weniger als die Achtung der Menschenrechte, den Kampf gegen Sklaverei, Kinderarbeit, oder Menschrechtsverletzungen, die aus Umweltzerstörung resultieren. „Das ist kein Kokolores“.  Es gehe auch darum, dass die Unternehmen, die sich bereits jetzt um die Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette kümmerten, wie etwa Ritter Sport, deshalb nicht im Wettbewerb benachteiligt werden dürften.

Strittig ist nicht nur die grundsätzliche Frage, ob Unternehmen überhaupt haften müssen, sondern auch die sogenannte „Haftungstiefe“. Dabei geht es darum, wie weit die Lieferkette reicht, für die die Sorgfaltspflicht gilt. Ob es zum Beispiel nur um die Arbeitsbedingungen der in China produzierenden Firmenniederlassung geht, oder auch um den Rohstofflieferanten dieser Niederlassung. „Wir sagen, es muss um die ganze Lieferkette gehen“, so Arbeitsminister Heil. Kinderarbeit findet meist in den unteren Lieferketten statt, also ganz am Anfang des Produktionsprozesses, wie etwa auf Kakaoplantagen, bei der Haselnussernte in der Türkei oder auch in Kobaltminen im Kongo. Heil beharrt auch darauf, dass das Gesetz für alle Branchen gelten muss, während etwa Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dafür plädiert, die Dienstleistungsbranche auszunehmen.

Bisher kümmern sich die wenigsten Unternehmen darum, ob die Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette eingehalten werden: Nur 13 bis 17 Prozent der Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten halten sich an die im „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ formulierten Vorgaben. Die große Koalition hatte vereinbart, gesetzliche Regelungen zu erlassen, wenn nicht mindestens die Hälfte der Unternehmen freiwillig eine menschenrechtliche Sorgfalt in ihrer globalen Lieferkette walten lässt.

Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich nun weiter für wirksames Lieferkettengesetz stark. „Viele Unternehmen sehen in einem Lieferkettengesetz einen Wettbewerbsvorteil und sind viel weiter als ihre teilweise rückwärtsgewandten Interessensverbände“, heißt es in einem Statement. „Angesichts von schuftenden Kindern in lebensgefährlichen Steinbrüchen, von Näherinnen, die mit ihrem Lohn nicht mal ihre Kinder ernähren können und Arbeitern, die bei ihrer Arbeit in giftiger Brühe stehen, um Leder für Schuhe und Kleidung zu gerben, brauchen wir ein wirksames Lieferkettengesetz – und zwar jetzt.“

 


Information für die Menschen am Hochrhein und im Hochschwarzwald