Das Frauenwahlrecht, einst von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokaten durchgesetzt, wird 100 Jahre alt.
Es ist der 19. Februar 1919, als die Sozialdemokratin Marie Juchacz sich an die Weimarer Nationalversammlung wendet. Ihre Worte „Meine Damen und Herren“ lösen laut Protokoll „Heiterkeit“ aus, doch Juchacz lässt sich nicht beirren: „Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat.“ Die alten Vorurteile, damit sind Vorurteile gegen Frauen gemeint. Vorurteile, aufgrund derer deutsche Frauen erst im November 1918 das aktive und passive Wahlrecht erhielten. Juchacz ist eine von 37 weiblichen Abgeordneten, die 1919 in die Nationalversammlung gewählt wurden.
Ein Triumph – dem ein jahrzehntelanger Kampf vorausging. Lange spielte die Forderung nach dem Frauenwahlrecht keine Rolle für die deutsche Frauenbewegung. Man konzentrierte sich auf andere Dinge: Der bürgerliche Flügel der Bewegung forderte für Frauen den Zugang zu höherer Bildung und zur Erwerbsarbeit, der sozialistische setzte sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Die eine, große Frauenbewegung gab es nicht.
Deutscher Verein für Frauenstimmrecht
1902 gründeten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht (später: Deutscher Verband für Frauenstimmrecht), den ersten Verband aus dem bürgerlichen Spektrum der Frauenbewegung, dessen Hauptziel das Frauenwahlrecht war. 1908 wurde in ganz Deutschland ein Vereinsgesetz verabschiedet, welches ein Verbot, das Frauen seit den 1850ern ein politisches Engagement in Vereinen untersagt hatte, aufhob: Frauen durften sich nun wieder frei vereinigen, versammeln und politischen Parteien beitreten. Diese Chance nutzten zahlreiche Frauen, schlossen sich einer Partei an – und mussten enttäuscht feststellen, dass sie dort nicht immer mit offenen Armen empfangen wurden: Viele Männer fanden, dass Frauen in der Politik nichts zu suchen haben. Frauenwahlrecht? Bitte nicht!
Im 1914 begonnenen Ersten Weltkrieg sahen viele Frauenrechtlerinnen eine Chance für die Frauenbewegung, sich zu beweisen – zu zeigen, dass Frauen genauso nützliche und wichtige Mitglieder der Gesellschaft sind wie Männer. Wahlrechtsforderungen wurden deshalb zunächst zurückgestellt, erst 1916 schlossen sich mehrere Verbände zum Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht zusammen. Die Novemberrevolution 1918/1919 führte schließlich zur Einführung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland: Durch ein am 12. November 1918 verabschiedetes Gesetz wurde das aktive und passive Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger ab 21 Jahren eingeführt.
Nationalversammlung am 19. Januar 1919
Zum ersten Mal nutzen konnten Frauen ihr neu errungenes Recht bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919. 82,3 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab, 8,7 Prozent der neuen Abgeordneten waren Frauen. Marie Juchacz, frisch gewählt, hielt am 19. Februar 2019 als erste Frau eine Rede vor dem Parlament. Sie machte deutlich: „Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Um Juchacz zu ehren und an sie zu erinnern, verleiht die SPD-Bundestagsfraktion im Februar 2019 den Marie-Juchacz-Preis.
Die SPD-Fraktion wird mobil machen für gleichberechtigte Teilhabe im Deutschen Bundestag und gibt damit ein klares Signal an die Länderparlamente und Stadt- und Gemeinderäte. Die Fraktion beteiligt sich gemeinsam mit vielen weiteren Organisationen, Verbänden und Initiativen wie dem Deutschen Frauenrat, dem Deutschen Juristinnenbund und den Frauen der Berliner Erklärung an der Debatte über Wege zur Parität in den Parlamenten. Die Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten muss eine der zentralen Fragen bei der anstehenden Wahlrechtsreform sein.